Urteile und Gutachten

Sächsisches Oberverwaltungsgericht – Urteil 5 B 522/06 vom 31.01.2007

Sächsisches Oberverwaltungsgericht – Urteil 5 B 522/06 vom 31.01.2007

  1. Leitsatz: Die Rechtsaufsichtsbehörde kann ihre rechtsaufsichtlichen Befugnisse verwirken.
  2. Die Gemeinden sind grundsätzlich nicht zur Erhebung von Ausbaubeiträgen und damit zum Erlass entsprechender Ausbaubeitragssatzungen verpflichtet.
  3. Die Gemeinden haben bei der Bestimmung der Anteile des öffentlichen Interesses und der Anteile der Allgemeinheit am ausbaubeitragsfähigen Aufwand (§ 28 Abs. 1 Satz 2 SächsKAG) ein weites Ermessen. Eine Einschränkung erfährt dieses Ermessen grundsätzlich nur durch die Regelung, dass die Beiträge vorteilsgerecht zu bestimmen sind und deshalb der öffentliche Anteil am beitragsfähigen Aufwand nicht in einem Umfang festgesetzt werden darf, der zu einem nicht mehr vorteilsgerechten Anliegeranteil und damit Ausbaubeitrag führt.

Rechtsvorschriften: SächsKAG § 26 Abs 1; § 28 Abs. 1 und 2;
SächsGemO § 73, § 82 Abs 2, § 114 Abs 1

ächsisches Oberverwaltungsgericht – Urteil 5 B 522/06 vom 31.01.2007
Leitsatz: Die Rechtsaufsichtsbehörde kann ihre rechtsaufsichtlichen Befugnisse verwirken.
Die Gemeinden sind grundsätzlich nicht zur Erhebung von Ausbaubeiträgen und damit zum Erlass entsprechender Ausbaubeitragssatzungen verpflichtet.
Die Gemeinden haben bei der Bestimmung der Anteile des öffentlichen Interesses und der Anteile der Allgemeinheit am ausbaubeitragsfähigen Aufwand (§ 28 Abs. 1 Satz 2 SächsKAG) ein weites Ermessen. Eine Einschränkung erfährt dieses Ermessen grundsätzlich nur durch die Regelung, dass die Beiträge vorteilsgerecht zu bestimmen sind und deshalb der öffentliche Anteil am beitragsfähigen Aufwand nicht in einem Umfang festgesetzt werden darf, der zu einem nicht mehr vorteilsgerechten Anliegeranteil und damit Ausbaubeitrag führt.
Rechtsvorschriften: SächsKAG § 26 Abs 1; § 28 Abs. 1 und 2;
SächsGemO § 73, § 82 Abs 2, § 114 Abs 1

Kommentar: Das Urteil gilt natürlich erst einmal für Sachsen und das dort geltende  Kommunalabgabengesetz. Da das Gesetz aber relativ neu ist, kann es die Rechtssprechung in anderen Bundesländern beeinflussen. (Rechtsanwalt abfragen) Allerdings werden Kommunen zu Straßenausbaubeiträgen von der Kommunalaufsicht aufgefordert, wenn sie verschuldet sind. In der
Regel hat dann die Kommune keinen Spielraum mehr und wird von oben gezwungen die Beiträge einzufordern.

 

Dem Bundesverfassungsgericht liegen zwei Verfassungsbeschwerden vor

Erste Verfassungsbeschwerde:

Nachdem die „Initiative faire Straßenbaufinanzierung“ (IfS) in Wentorf bei Hamburg, unterstützt vom „Allgemeinen Verein für gerechte Kommunalabgaben in Deutschland“ (AVgKD), den ordentlichen Rechtsweg ausgeschöpft hat, konnte am 25.07.2011 wegen der willkürlichen und grundrechtswidrigen Erhebung von Straßenausbaubeiträgen Verfassungsbeschwerde erhoben werden.

Diese Verfassungsbeschwerde wurde zum 7. Januar von der 2. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts nicht zur Entscheidung zugelassen. Die Entscheidung ist

unanfechtbar.

Nachzulesen unter Bundesverfassungsgericht 1 BvR 1892/11 vom 07.01.13

Also gilt es neue Wege und Argumente zu finden und beide gibt es.

Zweite Verfassungsbeschwerde:

Die Klage gegen wiederkehrende Beiträge und um Gleichbehandlung wurde von dem Verwaltungsgericht Koblenz erhoben. Dieses hat dem Bundesverfassungsgericht die Frage nach der Rechtmäßigkeit

der Vorschriften weiter gereicht und damit das Verfahren wesentlich verkürtzt.

Die erste Verfassungsbeschwerde kritisiert:

  1. dass die Straßenausbaubeitragssatzung eine unsachgemäße Differenzierung zwischen Straßennutzern vornimmt, die ein Grundstück an der ausgebauten Straße besitzt, und den übrigen Straßennutzern. Für die in Frage stehende Sache der „gerechten“ Weiterbelastung der Straßenausbaukosten gemäß der Straßennutzung bzw. -Abnutzung ist das Grundstückseigentum irrelevant. Als Differenzierungskriterium käme – wenn seine Erfassung und Zurechnung denn praktikabel möglich wäre – nur der Nutzungsgrad der Straßennutzer in Frage;
  1. dass die Voraussetzungen für eine abgabengerechte Erhebung nicht erfüllt sind, die lauten:

Allgemeinheit: von allen Straßennutzern als Kostenverursacher müssten Beiträge erhoben werden;

Gleichmäßigkeit: gleichartige abgabenrechtlich relevante Sachverhalte wären gleich zu behandeln;

Angemessenheit: alle Straßennutzer müssten relativ gleich belastet

werden;

  1. dass die objektive Erkenntnis der Finanzwissenschaft missachtet wird, dass es sich beim örtlichen Straßennetz um „öffentliche Güter“ handelt, deren Eigenschaften eine Vorteilszurechnung und damit eine Beitragserhebung (Äquivalenzprinzip) nicht zulassen;
  1. dass von den Verwaltungsgerichten durch sachlich falsche und logisch unzulässige Vergleiche zwischen Grundstücken an Ausbaustraßen und Grundstücken an vom Ausbau nicht betroffenen Straßen vermeintliche, aber nicht wirklich vorhandene Vorteile konstruiert werden, um Beiträge rechtfertigen zu können;
  1. dass die Verfassungssicht der Staatsrechtler missachtet wird, die das Straßenangebot als „allgemeine Staatsaufgabe“ betrachten, die aus Steuern zu finanzieren ist.

Das Ergebnis der Missachtung der Kritikpunkte durch die Verwaltungsgerichte ist eine willkürliche Beitragserhebung für den Straßenausbau. Das Bundesverfassungsgericht kann nun die jahrzehntelange falsche Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte korrigieren.

Das Aktenzeichen der Verfassungsbeschwerde lautet 1 BvR 1892/11

Weitere Informationen über die Argumentationen: siehe Archiv 1

Die zweite Verfassungsbeschwerde:

Die Pressemitteilung des VerwaltungsgerichtsKoblenz schildert die Beschwerde eingängig:

Beschluss vom 1. August 2011

Das Verwaltungsgericht Koblenz hält §§ 10, 10a Kommunalabgabengesetz Rheinland-Pfalz (KAG), die gesetzliche Grundlage für die Erhebung wiederkehrender Straßenausbaubeiträge, für verfassungswidrig und hat dem Bundesverfassungsgericht die Frage vorgelegt, ob diese Vorschriften verfassungsgemäß sind.

Nach § 10a Abs. 1 KAG können Gemeinden durch Satzung bestimmen, dass anstelle der Erhebung einmaliger Beiträge (§ 10 KAG) die jährlichen Investitionsaufwendungen für Verkehrsanlagen nach Abzug des Gemeindeanteils als wiederkehrende Beiträge auf die beitragspflichtigen Grundstücke verteilt werden. Nach § 10a Abs. 1 Satz 2 KAG kann in der Satzung u.a. bestimmt werden, dass sämtliche zum Anbau bestimmte Verkehrsanlagen des gesamten Gebiets oder einzelner, voneinander abgrenzbarer Gebietsteile einer Gemeinde eine einheitliche öffentliche Einrichtung (Einheit) bilden. Von dieser Möglichkeit hat die Ortsgemeinde Staudernheim Gebrauch gemacht und die zum Anbau bestimmten Verkehrsanlagen ihres gesamten Gemeindegebiets als eine Einheit ausgewiesen. Entsprechend zog sie nach Erlass einer Ausbaubeitragssatzung die Anlieger zu einem wiederkehrenden Beitrag für das Jahr 2007 heran. Hiermit waren verschiedene Anlieger nicht einverstanden und griffen die Beitragsbescheide an.

Nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung beschloss das Gericht, die landesrechtlichen Bestimmungen einer verfassungsrechtlichen Normenkontrolle unterziehen zu lassen. Zur Begründung führte es u.a. aus, dem Land fehle die Gesetzgebungskompetenz zur Einführung des neuen Anlagebegriffs, soweit dadurch die Ortsdurchfahrten von Bundesstraßen zu kommunalen Einrichtungen gemacht würden. Ferner würde Bundesrecht missachtet; bei der Erweiterung des Anbaustraßennetzes durch die erstmalige Herstellung einer Erschließungsanlage kollidiere das Ausbaubeitragsrecht mit dem Erschließungsbeitragsrecht und dem Grundsatz der Einmaligkeit der Beitragserhebung. Außerdem verstoße der Begriff der „einheitlichen öffentlichen Einrichtung“ in § 10a KAG gegen die Eigentumsgarantie des Grundgesetzes.

Durch das Gesetz würden die Kommunen dazu ermächtigt, alle von dem Anbaustraßennetz erschlossenen Grundstücke beitragspflichtig zu machen, obwohl die Unterhaltung eines Verkehrsnetzes in die allgemeine Straßenbaulast der Gemeinden falle. Die Straßengesetze sähen aber eine Kostenabwälzung auf die Anlieger nicht vor. Zudem sei es mit den rechtsstaatlichen Grundsätzen der Normenwahrheit und Normenklarheit nicht zu vereinbaren, dass alle Anbaustraßen einer Gemeinde eine „einheitliche“ Einrichtung darstellten.

Der Gleichheitssatz sei ebenfalls verletzt. Ein Beitrag dürfe nur erhoben werden, wenn der Beitragsschuldner durch eine Maßnahme einen Sondervorteil habe. Nach der amtlichen Begründung liege der besondere Vorteil darin, dass die erschlossenen Grundstücke an dem überörtlichen gesamten Verkehrsnetz partizipieren könnten. Das Einzige, was dieses Netz aber tatsächlich ausmache, sei die Abgrenzung zum Außenbereich. Wenn aber die Erreichbarkeit eines Grundstücks über jede beliebige Anbaustraße genügen solle, dann bestehe der Vorteil nur in der Teilnahme am innerörtlichen Verkehr, der im Rahmen des Gemeingebrauchs jedem Einwohner kostenlos gestattet sei. Eine andere Auslegung des Begriffs der öffentlichen Einheit sei nicht möglich. Eine solche allgemeine Teilnahme könne keinen Sondervorteil für die Anlieger begründen, welche die Erhebung eines Beitrags rechtfertige.

Erschließungsbeiträge für eine seit mehr als 30 Jahren fertige Straße rechtswidrig

VG Düsseldorf, Pressemitteilung vom 04.07.2016 zu den Urteilen 12 K 6288/14 und 12 K 6462/14 vom 04.07.2016

Die Stadt Wuppertal durfte im Jahr 2014 für den bereits in den Jahren 1983/84 erfolgten Ausbau der Straße Am Walde in Wuppertal-Elberfeld keine Erschließungsbeiträge in Höhe von jeweils ca. 3.500 Euro mehr erheben. Dies hat die 12. Kammer des Verwaltungsgerichts Düsseldorf mit Urteilen vom 04.07.2016 entschieden und den Klagen von zwei Anliegern gegen entsprechende Erschließungsbeitragsbescheide stattgegeben.

Zur Begründung hat die Kammer ausgeführt: Nach neuerer Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts muss ein Grundstückseigentümer klar vorhersehen können, ob er für sein Grundstück (noch) kommunale Abgaben bezahlen muss. Eine solche Vorhersehbarkeit ist nicht mehr gegeben, wenn die Stadt mehr als 30 Jahre nach der für den Grundstückseigentümer äußerlich erkennbaren vollständigen technischen Herstellung einer Straße Erschließungsbeiträge erhebt. Die Straße Am Walde in Wuppertal war bereits im Mai 1984 technisch vollständig hergestellt. Die Fahrbahn und die Gehwege waren vollständig ausgebaut, die Straßenbeleuchtung installiert und die Straßenentwässerung gewährleistet. Die Stadt kann sich nicht mit Erfolg darauf berufen, dass über die technische Herstellung hinaus rechtliche Voraussetzungen für die Beitragserhebung geschaffen werden mussten.

Die Kammer hat wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Sachen die Berufung zugelassen, über die das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen in Münster entscheidet.

Quelle: VG Düsseldorf